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Kein Texten mit der 110


Zivilcourage ist ein heißes Eisen, aber ohne Zivilcourage ist alles nichts. Warum habe ich noch keine App, die in Notsituationen per Knopfdruck die Polizei ruft? Eine Idee mit Bitte um Ergänzung.

Allen Unkenrufen aus der US-Bloggerszene zum Trotz: Berlin ist eine Wahnsinnsstadt. Nicht nur wegen der Kultur- und Party-Szene, sondern vor allem weil die Berliner recht genau wissen, wann sie hin- und wann sie wegsehen müssen. Ruhe bewahrt wird bei jedweder Modevorliebe, Grillverboten in Parks oder Kreativparkern in der dritten Reihe. Aktiv hinsehen tun die Berliner, so zumindest meine Erfahrung, wenn jemand Hilfe braucht. Beispielsweise ist die Unterstützung bei Fahrradunfällen oder Fast-Fahrradunfällen legendär. So mancher pöbelnde Autofahrer ist schnell wieder in sein Auto eingestiegen, nachdem sich Umstehende mit einem verunfallten oder bedrängten Fahrradfahrer solidarisiert hatten.

Gratwanderung: Gehört das noch zur Party?
Schwieriger ist die Lage, wenn absichtliche Gewalt im Spiel ist. Oft ist die Situation undurchsichtig und gerne möchte man selbst glauben, dass die ja wohl hoffentlich nur spielen wollen. Jedes Mal stellt sich die Frage: Gehe ich dazwischen, wenn jemand bedroht wird? Ab wann rufe ich die Polizei und lasse ich das die Täter merken? Die Frage kam bei mir in den vergangenen drei Wochen gleich zweimal auf.

Das erste Mal, als mir der sehenswerte Kurzfilm Auf der Strecke gezeigt wurde. Er bringt das Dilemma „Einschreiten oder Raushalten“ unangenehm anschaulich auf den Punkt. Mehrere junge Männer suchen Streit in einer U-Bahn und provozieren einen jungen Mann der alleine ist. Die Mitreisenden nehmen Abstand und steigen bei der nächstmöglichen Station aus, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Angesichts der Dramatik (der Mann wird totgeprügelt): unverzeihlich. Angesichts der Gefahr für eigen Leib und Leben: irgendwie nachvollziehbar.

Einmal sinnvoll den Standort weitergeben
Ich denke mir: Der zeitlosen Hilflosigkeit in Gewaltsituationen stehen bestimmt aktuelle technische Entwicklungen gegenüber. Und begebe mich auf die Recherche.

Jede noch so unwichtige Mini-App arbeitet mit meinem Standort und checkt, was ich gerade erlebe. Das, denke ich, sollte sich doch nutzen lassen, um per Smartphone unkompliziert stillen Alarm auszulösen – und die Polizei beispielsweise an die nächste oder übernächste Haltestelle einer U-Bahn zu rufen. Idealerweise eben ohne die Aggressoren etwas merken zu lassen. Die Recherche erwies sich jedoch als aufwändiger als gedacht – nicht zuletzt, da die Polizei Notfall-SMS ausschließlich für Hörgeschädigte anbietet, nur über eine spezielle Nummer empfängt oder tatsächlich noch per Fax verarbeitet. SMS oder Messenger-Nachrichten an die 110 funktionieren entsprechend in den allermeisten Fällen nicht.

Protegon_ScreenshotNotruf-Apps überwiegend kostenpflichtig
To make a long story short: Ich konnte keine App finden, die kostenlos per Knopfdruck die Polizei ruft. Da die Polizei die Notrufe nicht selbst entgegen nimmt, können Notfall-Apps nur mit Zwischenstation funktionieren, die Kosten verursachen. Entdeckt habe ich schließlich die App Protegon, die mich trotz monatlicher Kosten und einem unangenehm platten Angst-Produktfilm immerhin konzeptionell anspricht: Nach Start der App erscheint nur ein einfacher Bildschirm mit zwei Buttons: Rot für Krankenwagen, Blau für Polizei. In dem Moment, in dem ein Alarmknopf gedrückt wird, nimmt das Handy gleichzeitig ein Foto auf. Das Bild wird zusammen mit dem Hilferuf an die Zentrale des Anbieters verschickt. Der versucht zunächst, zurück zu rufen. Erreicht er den Hilferufenden nicht, beziehungsweise nennt der ein falsches Passwort, schickt die Zentrale die Einsatzkräfte an die beim Notruf geortete Stelle.

Mehr Sicherheit auf dem Weg nach Hause will beispielsweise auch das ziemlich neue Heimweg-Telefon (030/12074182) bieten, dass der Radiosender FluxFM kürzlich vorgestellt hat (nachzuhören: hier). Unbenannt

Die Situation macht die Musik
Das Resümee meiner kleinen Erstrecherche: Angebote, die Menschen mit Zivilcourage unterstützen und einen gewissen Schutz bieten, gibt es im Vergleich zu den technischen Möglichkeiten immer noch viel zu wenige. Liebe Entwickler, hier liegt ein Markt brach, schnappt ihn Euch!

Nichtsdestotrotz eigenen sich sicherlich auch Apps und Hotlines nicht für jede Situation. Wer überraschend in eine repressive Situation gerät, kann nicht immer erst sein Handy aus der Tasche kramen und entsperren. Das war dann meine zweite Begegnung mit dem Thema. Exakt zwei Wochen nach Kauf der App konnte ich sie nicht benutzen, als ich jemand anderem helfen wollte und einfach viel zu schnell selbst zum Ziel wurde. Gerettet hat mich letztlich keine App, sondern meine große Klappe.

Aber: Ohne Zivilcourage haben wir alle verloren, auch wenn es nicht ungefährlich ist, zu handeln. Deshalb würde ich mich freuen, wenn ihr für mich und andere unten ergänzt, welche Apps, Tipps und Tricks sich für Euch in Notsituationen bewährt haben.



Über Andrea Petzenhammer

Andrea studierte Medien und Informationswesen und arbeitete in verschiedenen PR-Agenturen unter anderem mit Immobilien- und Finanzfokus. Aus ihrer Selbständigkeit bringt Sie den Blick für Unternehmensentwicklung mit. Bei den Frischen Fischen konzentriert sie sich auf Online-Marketing-Themen.


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