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Praktikum im Home Office – Anekdoten aus dem heimischen Büro

, , 14.04.2020,

Von Emilia Ziegler

Auf der Suche nach einem universitären Pflichtpraktikum ging mir Ende 2019 ein ziemlich dicker Fisch ins Netz. Genau genommen eine PR-Agentur für Technologie – die Frischen Fische in Berlin.

PR oder auch Public Relations – das sagt der Wald- und Wiesen-Studentin von heute ungefähr so viel wie Blockchain-Technologie dem Jahrgang 1960. Dabei ist die Vorstellung, dem studentischen Partizipationsdrang zu begegnen, indem man progressiven Themen verhilft, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, eigentlich ganz schön.

Jedenfalls stellte die Agentur der Fische im Herzen von Neukölln für mich als angehende Sozialwissenschaftlerin in vielerlei Hinsicht eine Alternative zur der oft eher ernüchternden Sozialforschung dar; kommunikative Soft Skills und technisches Hintergrundwissen halfen mir unerwartet weiter. Die Arroganz eines wissenschaftlichen Schreibstils wird bewusst umgangen. Der Impact der eigenen Arbeit wird im Idealfall kurzfristig sichtbar, und das richtige Maß an Politisierung ist auch gegeben. So ganz nebenbei hilft man dem digitalisierungsverdrossenen Deutschland noch dabei, das eigens deklarierte Neuland zu erkunden. Und als Sahnehäubchen auf dem Eis wird an der Kaffeemaschine und beim gemeinsamen Mittagessen auch mal ganz locker über unwissenschaftliche, außerfachliche Themen gequatscht.

Im März 2020 begann schließlich der lang erwartete Praktikumsmonat. Rückblickend betrachtet vielleicht nicht der allerbeste Zeitraum. In den ersten zwei Wochen schien alles noch recht alltäglich. Es erwarteten mich nach einer herzlichen Einarbeitung aber bald die ersten größeren Herausforderungen. Das breite Aufgabenfeld war anscheinend doch um einiges komplexer als einfach nur Pressemitteilungen zu schreiben und nach Redakteuren zu recherchieren. Vom klassischen Kaffee-Kochen-und-Kopieren-Praktikum weit entfernt. Was aber alsbald durch eine Vielzahl qualifizierter Schulungen und Eigenrecherche über technische Themen zu bewältigen war, sollte sich im Zuge der parallel heranwachsenden Krise zur wahren Herausforderung entwickeln.

 

Und dann kam Corona

Der penetrante, globale Endgegner. Die menschengemachte Katastrophe, die es neben enormen gesundheitlichen Risiken vermag, das Uhrwerk der kapitalistischen Weltgesellschaft zum Erliegen zu bringen. Die ganzen kurz- und mittelfristigen Konsequenzen en détail aufzuzählen, würde mich an dieser Stelle nur in unzählige Redundanzen mit der omnipräsenten Berichterstattung verstricken. Schließlich ist Corona das modische Smalltalk-Thema Numero Uno. Speziell für die PR-Agentur der Frischen Fische ergaben sich dadurch so einige zusätzliche Fragen. Müssen alle anstehenden Pressematerialien in Den Kontext zur aktuellen Pandemie gebracht werden? Falls nicht, riskieren insbesondere B2B-Medien einen vehementen Einbruch der Klicks? Der Beratungsaufwand für die Kunden wurde schlagartig riesig und wichtige Entscheidungen – zwischen Geduld und Mut – mussten für die Unternehmenskommunikation getroffen werden. Alles in allem eine große Herausforderung. Jedoch wurde erst ab der dritten Märzwoche die einschneidendste aller corona-bedingten Veränderungen im Arbeitsalltag sichtbar.

 

Im Zentrum der Krise: Die Arbeit im heimischen Zentrum

Bis dato war für viele Menschen neben dem Social Distancing die Verlagerung der Arbeitsprozesse am deutlichsten spürbar, die auch Zuhause am heimischen Schreibtisch erledigt werden können. Oder eben auf dem Sofa, im Bett oder in der Badewanne. Und ehe man sich versieht, werden aus Gesprächen an der Agentur-Kaffeemaschine Selbstgespräche mit dem heimischen Mokka-Kocher. Im Gegenzug erhält man in etlichen Videocalls tiefe Einblicke in die Wohnsituation der Kollegen und Kolleginnen. Home Office (alternativ auch HomeOffice, Home-Office und Homeoffice geschrieben) – für die einen das Unwort des Jahres, für die anderen die langersehnte Möglichkeit, dem introvertierten Selbst die gewünschte Ruhe zu schenken. Endlich ohne soziale Ablenkung produktiv sein. Endlich das aufwändige Pendeln zur Arbeit im überfüllten, unpünktlichen Bus über Bord schmeißen. Endlich in Jogginghose arbeiten. Oder sogar eben ganz ohne – auch im Videocall. Die neu gewonnenen Freiheiten scheinen grenzenlos. Gerade für mich als Praktikantin jedoch mit einer ganzen Schubkarre voll Fragen zur Arbeit nicht gerade die allerpraktischste Situation. Zu oft verkneift man sich eben doch die eine oder andere Frage, um in den agentureigenen Kommunikationstools nicht unnötig zu spamen. Da ist die Face-to-Face-Hemmschwelle einfach etwas niedriger.

Im Detail sind die Vor- und Nachteile vom Home Office sowohl kurz- wie langfristig eher schwierig abzusehen. Jedoch gibt es gerade im wissenschaftlichen Bereich so manche Abschätzung über potenzielle Chancen und Risiken, die sich durch eine solche Verschränkung von Arbeit und Privatleben ergeben, wie es das Home Office eben erzwingt.

 

Agenturinterne Erfahrungen aus dem Home Office

Da man mir die Forschung vor der Arbeit in einer Agentur vermutlich erst einmal aus dem Leib prügeln muss, kommt man beiso einer Gelegenheit als wohlerzogene Arbeitssoziologin kaum daran vorbei, Umfragedaten zu erheben. Gesagt, getan – vierzigFragen zur aktuellen Corona-Homeoffice-Situation formuliert und an die gesamte Agentur verteilt. Die Ergebnisse: Eher durchmischt und ambivalent. Die Bewertung der aktuellen Situation scheint individuell eine hohe Diversität zu besitzen. Der zweite Teil dieses Beitrags konzentriert sich darum auf die agenturweite Einordnung der aktuellen Situation

Gerade die Wohnsituation mit Partner oder Partnerin, ganzer Familie oder in einer Wohngemeinschaft scheint sich essenziell auf die Arbeit im Home Office auszuwirken. Bis auf zwei Ausnahmen arbeitet die gesamte Agentur seit Mitte März im Home Office. Alle leben zurzeit an ihrem regulären Wohnsitz und nicht allein. Wie zu erwarten, sind es vor allem die eigenen Kinder – durch die aktuelle Krise ebenfalls gezwungen daheim zu bleiben –, die die Arbeit im Home Office um ein Vielfaches schwieriger gestalten. Kaum verwunderlich ist daher, dass der angegebene Stresspegel für Familien im Home Office sehr viel höher ist als in anderen Wohnsituationen.

Die etwas lautere Home-Office-Situation einer Agenturkollegin

 

Zur eigenen Produktivität im Home Office herrschen ambivalente Ansichten. Während teils große Konzentrations- und Produktivitätseinbußen angegeben wurden, scheinen andere sogar eine Verbesserung der Lage zu spüren. Beinahe sämtliche Mitarbeiter klagen jedoch über räumliche und technische Limitationen. Zu kleine oder gar keine Schreibtische, wenig ergonomische Stühle und mangelnde technische Hilfsmittel wie Bildschirm oder Maus erschweren den Arbeitsalltag im Zuhause immens.

Die Home-Office-Situation der Autorin – sie kann nun endlich auch zum Arbeiten lautere Musik hören.

 

Auch das reibungslose Funktionieren der internen Kommunikation in einer auf Kommunikation spezialisierten Branche scheint in Gefahr zu sein. Zwar bieten Tools wie Trello, Slack, Zoom und Tresorit ein breites Instrumentarium zur barrierefreien Kommunikation. Jedoch ist es vor allem der informelle Schnack an der Kaffeemaschine, der schmerzlich zu fehlen scheint. Das bestätigen existierende wissenschaftliche Studien in gleicher Weise. Je seltener man seine Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit trifft, desto größer ist das Risiko, dass soziale Beziehungen am Arbeitsplatz negativ beeinträchtigt werden. Eine gute soziale Einbindung und Unterstützung am Arbeitsplatz sind wichtige Ressourcen für den Erhalt von psychischer Gesundheit und Wohlbefinden. Dabei bleibt abzuwarten, ob informelle Kommunikation überhaupt digital funktionieren kann. Regelmäßige Wochen-Calls und eigene Messenger-Foren für Freizeit-Themen sind jedoch ein vernünftiger Anfang.

 

Arbeitswissenschaftliche Impulse zur aktuellen Lage

Gleichzeitig heißt es im wissenschaftlichen Kontext, dass das Home Office eine genauere Überwachung, Strukturierung und Einteilung der eigenen Arbeitskraft erfordert. Da sich Arbeit und Privatleben so nahe kommen, sind Phänomene wie das Arbeiten in der Küche beim Kochen keine Seltenheit. Schlimmstenfalls sogar auf der Toilette. Eine strenge Überwachung der eigenen Arbeitszeiten wird hier empfohlen. Um Ziele im vorgegebenen Zeitrahmen zu erreichen, werden freiwillig und ohne externe Überwachung Überstunden gemacht und es wird auf Pausen verzichtet. Dass dies negative gesundheitliche Folgen haben kann, wird dabei häufig ignoriert.

Das Home Office einer Agenturkollegin – Gespräche mit Hunden sind ertragreicher als solche  mit Einrichtungsgegenständen.

 

Zusätzlich bleibt abzuwarten, ob sich die Arbeit in einer heimischen Umgebung nicht negativ auf die Loslösung von Arbeitsprozessen nach Feierabend auswirkt. Immerhin gibt ein Großteil der Agentur dazu an, dass ihnen die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben sehr wichtig sei. Da bleibt es fraglich, ob Arbeit und Leben im selben Raum genug Möglichkeiten einräumt, nach Feierabend den Kopf freizubekommen. Das Problem spitzt sich weiter zu, wenn Firmengeräte wie Smartphones und Laptops auch nach Feierabend noch freizeitlich verwendet werden. Im Falle einer eintreffenden Mail oder Nachricht führt dies eben doch schnell dazu, dass man sich mindestens gedanklich erneut mit Arbeitsthemen beschäftigt. Ein – wie viele Arbeitswissenschaftler propagieren – eher problematisches Unterfangen. Innerhalb der Agentur scheint dies laut der Umfrage-Ergebnisse aber ein eher mäßiges Problem darzustellen. Dennoch ist es empfehlenswert, eine strikte Trennung von Arbeit und Freizeit sowie Geschäfts- und Privat-Laptop zu ziehen.

Allerdings sprechen Studien auch dafür, dass sich Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben durch die Arbeit im Home Office reduzieren können. Die Daten der Umfrage zeigen ebenfalls, dass eine starke Verbesserung der Beziehungen innerhalb der eigenen Wohngemeinschaft keine Seltenheit ist. Ob quarantänebedingt oder aufgrund der Home-Office-Situation bleibt jedoch offen. Vermutlich spielen beide Faktoren eine größere Rolle. Immerhin steigt zumeist also schon mal das soziale Miteinander in der häuslichen Umgebung.

 

Home Office als Beschränkung oder Chance? Das Fazit einer Praktikantin

Alles in allem scheint die aktuelle Situation also in vielerlei Hinsicht interessant. Ich persönlich konnte das Agenturleben vor Ort zwar leider nur zeitlich begrenzt in mich aufsaugen. Und auch das nähere Kennenlernen meiner Kolleginnen und Kollegen nach den ersten zwei Wochen wurde über Telefonate und Messenger etwas erschwert. Doch entstand dadurch auch die Möglichkeit, sich tiefer in die gängigen Kommunikationstools einzuarbeiten und damit auch an der Digitalisierung der eigenen Arbeitsweise zu feilen. Schließlich gewinnen auch Software-Skills einen immer höheren Stellenwert in der modernen Arbeitswelt. Und auch was meine Konzentration und Produktivität angeht, konnte ich schon bald nach etwaigen Startschwierigkeiten durch eine bessere Systematisierung des Arbeitsalltags große Fortschritte verzeichnen. In Motivations-Coaching-Bücher würde man nun Phrasen wie “man wächst mit seinen Herausforderungen” zu lesen bekommen. Und tatsächlich kann ich als Fazit sagen, dass jede Beschränkung auch irgendwo eine Chance ist. Not macht bekanntlich eben auch erfinderisch.

Und nicht zuletzt durch den Umstand der Heimarbeit hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen und bedanke mich für die sehr schöne Zeit bei den Fischen.

 

Über die Verfasserin dieses Beitrages

Über ihr Studium der Techniksoziologie ist Emilia für ein einmonatiges Pflichtpraktikum bei den Fischen gelandet. Privat textet sie gern für die große Poetry-Bühne oder arbeitet empirisch in der Digitalisierungsforschung. Bei den Fischen konnte sie beiderlei Leidenschaften verbinden.



Über Alex

In ihrem früheren Leben half Alex als Lektorin Büchern auf die Welt und kümmerte sich liebevoll um deren Autor*innen. Bei den Fischen nun tobt sie sich als PR-Projektmanagerin aus und hält den anderen Fischen den Rücken frei. Ansonsten findet Ihr Alex entweder beim Fotografieren, Joggen, Reisen oder im Kino.


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