Weihnachten mit den Fischen: Die Blogflöte in den Bergen
Mein erstes Weihnachten in den Bergen – oder besser mein erstes Mal überhaupt in den Bergen – war im Jahre 1982. Weiß Gott (im konkreten Fall „Weiß Gotthold“), wer oder was meinen bis dahin Wintersport unerfahrenen Vater dazu bewogen hat, seinen Jahresurlaub im Schnee zu verbringen. Wer oder was auch immer es war: Danke an dieser Stelle. Bis heute kenne ich keinen schöneren Urlaub als den im Tiefschnee.
Der Anfang dieser Leidenschaft gestaltete sich allerdings ziemlich holprig. Von unserem damaligen Wohnort, an deren Hafenkais die Weser in die Nordsee mündet, bis in das beschauliche Örtchen Unterbäch im Wallis brauchte man zwischen 10 und 15 Stunden. Zumindest mit der ersten Generation des damals auch als Aldi-Bulli oder Asiakoffer bekannten Mitsubishi L300. Vor allem, wenn auf dem Dach zwei riesige Überseekoffer, gebrauchte Kinderski, diverse Schlitten und ein kleiner Weihnachtsbaum (!) befestigt waren. Die hintere Sitzbank durch eine Liegefläche ersetzt, fuhren wir unangeschnallt und dem Rauch von etwa zwei bis drei Schachteln SL (wofür stand das eigentlich?) ausgesetzt, diese Strecke in der Regel mit Zwischenstopp im Taunus. Und ganz ehrlich: Schon dort wurde mir beim ersten Mal verdammt schwindelig ob der in meinen Augen gewaltigen „Berge“. Man bedenke, dass ich aus einer Gegend stamme, in der sprichwörtlich die Rücken der Kühe, in Wirklichkeit aber die Deiche als höchste Erhebungen herhalten müssen.
Als wir schließlich kurz nach Basel den ersten Tunnel durchquerten, der zu lang war, um durchgehend die Luft anzuhalten, hab ich wahrscheinlich nur deshalb nicht vor Aufregung gekotzt, weil meine drei kleinen Geschwister das ganze so cool genommen haben, als wären sie die Enkel von Toni Sailer persönlich.
Panik-Performance in den Serpentinen
Jedoch: Als wir dann in Visp in die Serpentinen bogen, um das 1.200 Meter hoch gelegene Unterbäch zu erreichen, hab ich eine ziemlich eindrucksvolle Panik-Performance hingelegt. Ich hab mich auf den Fußboden des Busses gelegt, den Kopfhörer aufgesetzt und so getan, als wenn ich schlafe. Was mir keiner geglaubt hat, da ich – übrigens bis heute – in Transportmitteln nicht schlafen kann (anders als mein Bruder, der manchmal schon gepennt hat, bevor der Kofferraum zu war.) Da jedenfalls dachte ich noch, ich will hier nie, nie, nie wieder her. Letzten Endes war ich in den darauffolgenden zehn Jahre dort. Manchmal sogar zwei Mal.
Weihnachten in Unterbäch war so unspektakulär, wie man es sich nur vorstellen kann. Im Ort leben heute laut Wikipedia 401 Personen, es gab eine Telefonzelle, zwei verschiedene Nachnamen (Vogler und Zenhäuser) und die vermutlich hochprozentigsten aber liebenswertesten Sesselliftboys der Welt. Auch an Silvester herrschte strengstes Verbot jedweder Pyrotechnik. Zu gefährdet war diese auf Holz und Stroh gebaute Zivilisation im verwunschenen Niemandsland der Berge. Unsere Ferienwohnung lag im ersten Stock eines alten Chalets und überzeugte mit Kohleofen, Bad auf eiskaltem Flur und einer Küche, die gerade mal so viel Platz bot, dass es japanischer Bonsai-Tricks bedurfte, unseren Weihnachtsbaum auf dem Kühlschrank zu platzieren.
Who put eilig in Heiligabend?
Heiligabend selbst verbrachte man genau wie alle anderen Tage auch auf den Pisten des kleinen, gemütlichen Skigebiets. Anschließend folgten die Rituale „Nutellabrote und Caotina für völlig durchgefrorene Kinder“ und Spaziergang mit dem Vater bis zur Bescherung. Außerdem die ersten klaren berufsvorbereitenden Maßnahmen. Mein Bruder, fingerfertig und detailverliebt, schnitzte die Requisiten für das Kasperletheater (heute ist er Chirurg) und ich war schon damals zuständig für einen guten Mix aus Drehbuch und improvisiertem Ad-hoc Storytelling…
Dann die Bescherung! Bis heute frage ich mich, wie meine Mutter es geschafft hat, in die Überseekoffer neben Skiklamotten für sechs Personen für 14 Tage und diversem Weihnachtsbaumschmuck auch noch Geschenke unterzubringen. Aber tatsächlich bekam ich dort meine erste Märklin Eisenbahn, mein erstes Tipp-Kick-Spiel und übrigens auch – unvergessen – mein erstes Kraftwerk-Tape vom Cousin eines Urlaubsfreunds. Leider wurden entgegen meiner Hoffnung auch die Blockflöten und das Heftchen mit den Weihnachtsliedern nicht vergessen und auch die Schweizer Berge kennen seitdem die mächtige Stimme meines mit dem absoluten Gehör ausgestatten Vaters, wenn er aus dem Nachbarzimmer sein bekanntes „Fiiiiis“ aus dem Nebenzimmer rief, wenn ich mal wieder ein Kreuz übersehen hatte. Ich habe mir daher für Euch ein Stück ohne jedes Vorzeichen ausgesucht :-)
Und wo ich so die Aufnahme auf meinem iPhone “produziere”, erinnere ich mich an meinen neben der Auskunft und der Zeitansage häufigsten genutzten Telefon-Service: Die Schnee-Ansagen der Telekom. Wenn man da Pech hatte, geriet man in Schleife, wenn das Wallis gerade durch war und musste gute 15 Minuten mit Hörer am Ohr ausharren, bis die restliche Schweiz, Österreich und die deutschen Alpen durch waren. Eine Tastenauswahl gab es nämlich genauso wenig wie einen Lautsprecher. Irgendwie war das ja auch gemütlich.
(Anmerkung: Ich bitte um Nachsicht. Vor dieser Aufnahme habe ich über 20 Jahre keine Blockflöte in der Hand gehabt außer beim Aufräumen.)
Ein Kommentar
Mone
standing Ovations